EUGEN GRADMANN: DIE LANDSCHAFTSMALER
Württemberg ist ein malerisches Land, nicht nur im älteren, sondern auch im heutigen Sinne des Wortes, d. h. nicht nur reich an romantischen Ansichten, sondern auch an Charakter- und Stimmungslandschaften, im Neckarbecken und fränkischen Muschelkalkland mit seinen idyllischen Tälern, im Albvorland und in den Tälern und auf der Hochfläche der Alb, im oberschwäbischen Alpenvorland mit seinen Mooren, am Bodensee und auf dem Schwarzwald, selbst auf den Fildern und im Gäu.
„Die Stuttgarter Kunst der Gegenwart“ in der University of Toronto – Robarts Library
Und die Schwaben haben seit der Zeit der Romantik und der schwäbischen Dichterschule eine starke Vorliebe für die Landschaftsmalerei; nicht nur die Kunstfreunde, was sich leicht begreift, da die Landschaft dem Dilettantismus und dem auf die Naturwahrheit gerichteten Laienurteil am leichtesten zugänglich und zum neutralen Zimmerschmuck geeignet ist, sondern auch die Künstler.
Für eingefleischte Schwaben ist es ausgemacht, daß ein schwäbischer Landschaftsmaler sein Bestes immer bei der schwäbischen Landschaft gäbe. Sie finden den Beweis zum Beispiel bei Reiniger und selbst bei Schönleber, wenn Sie ihre italienischen Landschaften mit den heimischen vergleichen. Die Maler sagen ja auch selbst, daß sie sich in eine Landschaft erst einleben müssen; und es mag wohl sein, daß die Poesie der Jugendeindrücke durch nichts ersetzt werden kann. Doch glücklicherweise ist des Deutschen Vaterland nicht so klein. Gerade eingewanderte Künstler wie Hollenberg haben uns die Eigenart und Schönheit unserer Heimat oft in neuer und ergreifender Weise vor Augen gestellt. Kalckreuths „Waldenburg“ in unserer Staatsgalerie ist mit seinem eigenartig behandelten Baumschlag in ehrlichem Grün solch ein Bild. Und wieder Hölzels „Bebenhausen“. Von Kalckreuth ist zum Beispiel die schwäbische, jetzt in München lebende Landschaftsmalerin Maria Caspar-Filser angeregt worden. Robert Poetzelberger gibt mit Vorliebe Stadt- und Landschaftsbilder, die von oben gesehen und wohl sogar ganz ohne Himmel sind; ein fränkisches Flußtal (bei Rothenburg), ein schwäbisches Städtchen am Bodensee; mit einer zeichnerisch-malerischen Feinheit, die nur bei Schönleber ihresgleichen findet. Und sein „Flußtal“ ist wegen der innigen Auffassung des Idyllischen mit Thomas Landschaften verglichen worden. Der Österreicher tut es also jedem Schwaben gleich.
Oft ist in Ausstellungsberichten zu lesen, daß die schwäbische Malerei den wohltuenden Eindruck der Naturfrische mache, einer Unbefangenheit, deren Gegenteil bezeichnet wird als „Ausstellungsmalerei“. Das gilt vor allem von der Landschaftsmalerei und ist sicherlich zum Teil auf den Eindruck von Otto Reinigers Frühwerken zurückzuführen. Aber auch auf andere schwäbische Künstlerpersönlichkeiten paßt es wie angegossen, auf Kornbeck und auf mehr als einen von den Jungen; doch ebensogut freilich auch auf Kalckreuth. Gut schwäbisch ist es sicherlich; entsprechend der schwäbischen Lyrik, die ihre Frische dem Volkslied und der naiven, noch vom ganzen Volke gesprochenen Mundart verdankt.
Die Schwaben haben vor allem einen lyrischen Zug, den sie nicht unterdrücken können. Selbst in der Zeit des Naturalismus haben ausgezeichnete Maler wie Pleuer, Haug, Landenberger, Speyer sich einmal oder mehrmals im Gegenstand und Titel ausdrücklich dazu bekannt. Es hat ihnen vielleicht in der auswärtigen Kritik einmal geschadet. Das schwäbische Volk liebte sie darum nur um so mehr und läßt sich die Überzeugung nicht nehmen, daß ihre Malerei deshalb nicht schlechter sei.
Landschaftsmaler, die aus Schwaben stammen und schon ganz der Geschichte angehören, sind: Jakob Gauermann (1773—1843); Gottlob Friedrich Steinkopf (1779—1860); Friedrich Dörr von Tübingen (1782—1841); Christoph Rist in Augsburg (1790—1860); Louis Mayer (1791—1843); Karl Heinzmann (1795—1846). Diese sämtlich Vertreter der romantisch-klassizistischen, historischen Landschaftsmalerei.
Dann die Romantiker und Anhänger der Neurenaissance in der Malerei: Hermann Herdtle (1819—1889); Gustav Herdtle (geb. 1835); Karl Ebert (1821—1885); Friedrich Salzer (1827—1863); Theodor Schüz (1830—1900); Gustav Cloß (1840—1870); Ernst Reiniger (1841—1873); Gustav Conz.
Eingewanderte, die an der schwäbischen Landschaftsmalerei teilnahmen, waren: der Berliner Adolf Friedr. Harper (i725—1806, hier 1756—1798); Joh. Friedr. Steinkopf aus Oppenheim (1737—1825), der Vater und Lehrer des berühmten Landschaftsmalers; Joh. Jak. ,,Müller von Riga“ (1765—J83i); Heinrich Funk von Herford in Westfalen (1809—1877); Pieter Francis Peters aus Nymwegen (1818—1903); Fr. X. Riedmüiler aus Konstanz (1829—1901); Karl Ludwig aus Römhild (1839—1901, hier 1877—1880).
Auch Figurenmaler, Meister des Sittenbildes, haben die Landschaftsmalerei gefördert. So Jakob Grünenwald (1821—1896), der Schüler Nehers und Dietrichs und Lehrer mehrerer angesehener Landschaftsmaler, und Karl Häberlin (1832—1911), von dem dasselbe gilt. So auch die Tiermaler Anton Braith (1836—1905); Hermann Baisch (1846—1894, hier 1872—1880) und sein Bruder Otto (1840—1892), die beiden Mali, Johann (1828—1865) und Christian (1832—1906).
Hier sind ferner die Architekturmaler einzureihen wie Gustav Bauernfeind (1848—1905) und Adolf Treidler (1846 1905); und die besseren Ansichtenzeichner und Aquarellisten, die Originalradierer und Lithographen. Durch künstlerische Wiedergabe vaterländischer Ansichten haben Viktor Heideloff (i757—1817), Friedr. Aug. Seyffer (1774—1845), Karl Friedr. Seubert (1780 bis 1859), K. Obach (1807—1865), Eberh. Emminger (1808—1885), Robert Ebner, Wölfle, O. Braungart, Herm. Genter und manche andere dauernden Wert behauptet. So auch Max Bach (geb. 1841), der zugleich als Kunstschriftsteller tätig ist.
Zu Harpers Zeit war die Landschaftsmalerei noch dekorativen Zwecken dienstbar. Der Landschaftsmaler war am Hofe Herzog Karls zugleich Theatermaler und verpflichtet, dem Historienmaler Guibal bei der Luft, den Blumen und den Fruchtgewinden zu helfen. Als Türaufsatzfüllungen malte er, den Goethe den ,,geborenen Landschafter“ nennt und der in Italien den Unterricht des berühmten Landschaftsmalers Wilson genossen hatte, seine italienischen ,,Veduten“, römische Ruinen, Brücken und dergleichen, in romantisch-klassischem Geschmack und noch in der sicheren Technik des Rokoko, in braunen oder bunten Tönen mit manieriertem Baumschlag und flotter Staffage. Er war in der Karlsschule der Lehrer des Tirolers Koch, der freilich, wie bekannt, dieser Schule entwich.
Der Begründer der schwäbischen Landschaftsmalerei ist G. Fr. Steinkopf.
Steinkopf, als Maler hier von seinem Vater und in Wien an der Akademie ausgebildet, schloß sich in Rom an J. A. Koch und Reinhart, Schick und Wächter an. Sie fühlten sich als Deutsche im Sinn der Romantiker, kamen aber von der Überlieferung der klassizistischen französischen Kunst nicht los. Die Landschaftsmaler wagten zuerst den Ritt ins romantische Land, zunächst natürlich nur ins Gegenständliche. Deutsche Landschaften, stilisiert in der Art von Claude Lorrain und Poussin, schön komponiert, in edlen Linien gezeichnet und gelungen in der Raumwirkung wie in der sonnigen Luft, belebt von braven und zufriedenen Landleuten, aber doch uns anmutend wie eine Bühnenszene, besonders im Baumschlag, und in der Farbe nur wie kolorierte Zeichnung, Malerei aus der Erinnerung, die über eine allgemeine Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit der Farbengebung nicht hinauskam. In der Natur wurde damals fast nur gezeichnet, gemalt wurde in der Werkstatt. Darum lebt Steinkopf für uns mehr in den lithographierten Blättern nach seinen Gemälden, namentlich „Rosenstein“ und „Roter Berg“ (Wirtenberg), letzteres mutet uns an wie ein vorweggenommenes Idyll von Schüz. Bezeichnend durch die Wahl des Gegenstandes ist auch das Bild „Ein schwäbischer Frühling“ (im Besitz des Königlichen Hauses, 1839). Steinkopf ist als Professor und Direktor der hiesigen Kunstschule der grundlegende Lehrer von Karl Ebert, Hermann Herdtle und Th. Schüz gewesen. Lange hat sich die ganze Ansichtenzeichnerei in Schwaben an seinen Stil gehalten.
Funk, ein Schüler und Genosse Schirmers und Lessings, Professor hier 1854—1876, hat in der deutschen Jahrhundertausstellung (1904) seinen Platz neben den bedeutendsten Meistern der Landschaft behauptet. Seine Bilder vom Rhein, von der Eifel, aus den Alpen und Voralpen wirken vornehm und bedeutend; ihre Stimmung, meist ernst, liegt nicht nur im groß erfaßten Charakter der landschaftlichen Formen, sondern auch schon, wenigstens angedeutet auf eine Art, die fein, wie bewußte Zurückhaltung wirkt, in der Farbe. Eichenbäume und sturmgepeitschte Wipfel sind beliebte Requisiten dieser heroischen Landschaftsmalerei. Schüler von ihm waren Gustav Cloß, Ernst Reiniger und Albert Kappis.
Ein Schüler Schirmers war auch Fr. X. Riedmüller aus Konstanz, der seit 1868 hier lebte. Den älteren Besuchern des Kunstvereins sind von ihm namentlich gefällige Aquarelle und Kreidezeichnungen erinnerlich, die meist Partien vom Bodensee oder Waldpartien darstellten.
Funks Nachfolger, der Meininger Karl Ludwig aus der Pilotyschule, war ebenfalls ein ausgezeichneter Landschafter, Calames deutscher Nebenbuhler, wirkte aber nur drei Jahre hier (1877—1880.) Ein Meister der Zeichnung und der Farbe, die er so recht ölfarbenmäßig behandelt, schmelzend, leuchtend, tief und satt. Vielbewandert, gab er auch in seinen Bildern alles, was den Wanderer in der Landschaft freut: schöne Gegenden aus dem Hoch- und deutschen Mittelgebirge, saftiges Grün, Sonne und Wolkenschatten, wodurch die gutgemalten pittoresken Gegenstände mit Licht und Schatten in Wirkung gesetzt werden. Es ist, im Vergleich zur späteren Stimmungsmalerei, vollendete Porträtlandschafterei und Detailmalerei. Zu seinen Schülern zählt Hermann Drück.
Jakob Grünenwald (Professor 1877—1896) malte auch Landschaften in der Art der Pilotyschüler, er besonders schwer und meist auch trüb in der Farbe. Baisch, Braith und Mali vertreten mit Ludwig, Cloß, E. Reiniger die farbenfrohe, illustrativ bunte, oft süßliche Malerei der Neurenaissance, die nach heutigem Empfinden die beherrschende Stimmungdurch Luft und Licht und manchmal die schlichte Wahrheit und den tiefen Ernst der Natur vermissen läßt. Aber die körperliche Landschaft, wie sie sich bei klarer Luft im hellen Licht der Sommersonne darstellt, haben sie schon in vollkommener Weise wiedergegeben. Ihr Fehler war auch wohl, daß sie zuviel des Malerischen oder vielmehr Zeichnerischen, zuviel Mannigfaltigkeit des Gegenständlichen ins Bild brachten und es in den Formen steigerten.
Theodor Schüz, ein schwäbischer Pfarrerssohn, Schüler Steinkopfs und Pilotys und Düsseldorfer Genremaler, gilt noch heute vielen als der echteste Maler schwäbischer Landschaft und Sitte, besonders wegen des lyrischen, den Volkston treffenden Anklanges seiner Kunst. Gemütvoller als er schildert sie keiner. Auch der Humor fehlt ihm nicht, etwas von der schalkhaften Anmut und inneren Überlegenheit Mörikes. Seine Poesie ist freilich manchmal sentimental nach Düsseldorfer Art, die auch den Schwaben zusagte und heute noch vielfach zusagt. Er ist ein besserer Maler als Ludwig Richter, doch ein minderer als Spitzweg. Schüz ist gewohnt, im Bilde zu erzählen und liebt es, die Natur als Sinnbild des Menschenlebens zu deuten. So arbeitet er mit symbolischen Einzelheiten, die man sozusagen lesen muß, und kann sich nicht genugtun in der Anhäufung bedeutungsvoller Nebenepisoden im Vordergrund und Mittelgrund. Ihnen opfert der Maler sogar das Gleichgewicht der Komposition, die Klarheit des Raumeindrucks und die Richtigkeit der Geländezeichnung. Dennoch gibt er schwäbische Charakterlandschaften so wahr und innig wie keiner vor ihm. Er hat zuerst das Bild der Albkette in schlichter Schönheit dargestellt und den Zauber des Vorfrühlings, den Uhland besungen, in Wald und Feld malerisch erfaßt; er auch zuerst das Wunder der Obstbaumblüte, das Schwabens Stolz und Wonne ist. In manchen seiner Sitten- und Gesellschaftsbildern ist die Natur gar zu schön, die Baumgestalten alle nach dem Geschmack der damaligen Landschaftsmalerei so üppig, daß man ans Theater erinnert wird; in anderen, vornehmlich in seinen reinen Landschaftsbildern, gibt er treu und fein den Natureindruck wieder. Auf seinem Hauptwerk, der „Mittagsruhe in der Ernte“ (1861, Staatsgalerie), zeigte er einen merkwürdigen Anlauf zum Kolorismus der Freilichtmalerei. Auf den Gesichtern der Hauptgruppe im Schatten des Apfelbaumes liegt ein grüner Schimmer, die Lichter sind rot und die Schatten violett. Und mit welcher Liebe ist der große Apfelbaum zeichnerisch und malerisch ausgeführt. Die Photographie arbeitet nicht genauer. Von den Malern kann das heute nur noch Kornbeck. Und ebenso das Landschaftspanorama im Hintergrund (mit Herrenberg). Das schönste ist aber doch auch hier noch der ansprechende Gegenstand und die gemütvolle Beseelung des Figürlichen.
Peters, der holländische Landschaftsmaler auf schwäbischem Boden, war noch in den guten Überlieferungen der holländischen Malerei aufgewachsen. Durch mehr als ein halbes Jahrhundert hat er in Schwaben gemalt, sehr fruchtbar und geschäftsgewandt, so daß ein flüchtiger Manierismus nicht ausbleiben konnte. Seine besten Bilder reichen immerhin an Schleich, den Vater der intimen und koloristischen deutschen Landschaftsmalerei, heran. Viele gehören aber der Gattung der beschreibenden Malerei an, Ansichten aus den Alpen, Kufstein, Rheintal, und aus Schwaben, namentlich der Köngener Gegend. Seinen meisten späteren Bildern fehlt die Farbigkeit, abgesehen etwa vom blauen Himmel. Erde, Laub und Wasser schwimmen in einem warmen, dünnen Braun.
Zwei hochbegabte Künstler aus Stuttgart, die gegen 1870 in München lebten und beide jung starben, zeigen unter sich eine nahe Verwandtschaft in ihren Landschaftsbildern: Gustav Cloß (geb. 1840) und Ernst Reiniger (geb. 1843). Aus Funks Schule hervorgegangen, kamen sie in München unter den Einfluß Pilotys und Schleichs, wanderten dann in Italien und malten italienische und deutsche Landschaften, Romantik im Gewand der Renaissance, mit Übertragung der hesperischen Üppigkeit auf deutsche Landschaften. Ernst Reiniger erscheint nach Veranlagung und Schicksal als merkwürdiger Vorläufer und Doppelgänger seines Vetters Otto Reiniger.
Ludwigs Nachfolger, Albert Kappis (geb. in Wildberg 1836, Professor hier 1880—1905), ist der fruchtbarste und im Gegenstände mannigfaltigste der schwäbischen Landschaftsmaler, eine echt schwäbische Poetennatur, aber auch ein Maler von Qualitäten, der in einem langen, fleißigen und glücklichen Leben die Entwicklung der Landschaftsmalerei von Funk, seinem Lehrer, bis auf Reiniger, seinen ehemaligen Schüler, mitgemacht hat. In München, wo er besonders den Einfluß Liers erfahren zu haben scheint, in Düsseldorf, wo ihn das poetische Sittenbild anziehen mußte, und auf Studienreisen nach Düsseldorf, Holland, Belgien und Paris weiter ausgebildet, ließ er sich in München nieder und folgte schließlich einem Ruf nach Stuttgart, wo er der Lehrer aller tonangebenden schwäbischen Maler von heute wurde. Gleich Schüz, dem er verwandt erscheint wie kein zweiter, ging er vom Sittenbild aus, und zwar vom Arbeitsleben des schwäbischen Landvolkes. So schildert er die Schafschur, Heuet und Ernte, Obstmosterei, Weinlese und Kelterei, Kartoffelernte, Dreschen auf der Tenne und mit der Dreschmaschine (1879) und Putzmühle, das Hanfbrechen und Linnenbleichen, den Bauernhof mit Schweinen und Geflügel, die Mühle, das Leben auf der Dorfgasse vor dem Wirtshaus. Dann Fischerszenen von den Seen des Voralpenlandes und später vom Meer im Süden und im Norden; den Fischmarkt von Augsburg und von Venedig, die Fischrösterei, die ländliche Schiffswerft. So wird er zum Landschafts- und Seemaler. Seine Sittenbilder haben gegenständlich großen Reiz und auch kulturgeschichtlichen Wert, weil sie mit herzlicher Liebe zur Sache studiert und humorvoll ausstaffiert sind. Die Bilder aus den Keltern von Rohracker und Güglingen und vor der Gundelsheimer Kelter (1877, Museum Bonn) werden später einmal, wenn die letzte hölzerne Kelterpresse verschwunden ist, als Modelle dienen können. Die Obstmostkelterei im Schwarzwald mutet uns an wie eine Illustration zu Hermann Hesses Schilderung.
Aber sie sind mehr als Illustrationen; den Maler lockte immer schon das Malerische des Gegenstandes, das Halbdunkel in der Kelter, das Helldunkel der Dreschtenne, die Stimmung des Regentages oder Winterabends im Schwarzwalddorf (1881, Galerie Stuttgart), der schimmernde Duft des Herbstes, das Silberlicht des Morgens über der Wiese, der goldige Sonnenglanz des Nachmittags auf dem Korn und Stroh und die tieftönigen Gewitterwolken, die Schönheiten des Wassers und des Lichtes und der Luft darüber. Seine Städtebilder, die alle am Wasser liegen, am Neckar oder der Donau, an einem Binnensee oder einer nordischen oder italienischen Küste, haben echt malerische Stimmung. In der das Pittoreske steigernden Zeichnung wirken sie schon ein wenig altmodisch. Dafür haben manche etwas von dem, was zum guten Bildnis gehört, den Charakter, aus dem wir ein Schicksal lesen. Das gilt auch von den historischen Landschaften Hohenstaufen (1881, Museum Rostock) und Hohenneuffen. Kappis’ Kunst ist keineswegs auf das Idyllische beschränkt, auch das Romantische und Pathetische gelingt ihr. Rein malerisch sind die kleinen Bilder vom Erntefeld und von den deutschen Seen das Beste, was der Meister geschaffen hat; besonders auch die ganz modernen, mit verhältnismäßig großen Stimmungsfiguren in Freilichtmalerei wie die Schnitterin und der Aufbruch der Bodenseefischer (1896). Auf der Höhe seiner Kraft, in den achtziger Jahren, hat er bei den großen Kompositionen, wie dem Hohenstaufen, auch die große Form. An seinen älteren Bildern erfreut oft gerade die Sorgfalt und Meisterschaft, womit der Vordergrund durchgebildet ist, in wirksamem Gegensatz zur duftigen Ferne oder dem durchsichtigen Himmel, ein Kornfeld, eine blühende Wiese. Die duftige, lichtgetränkte Schönheit der Seebilder aus den neunziger Jahren, wo nur ein Kahn in körperlicher Schwere zwischen Wasser und Luft hängt, gibt keine Nachbildung wieder. Die „Erinnerung an Königsfeld“ (1910) ist noch ein Kabinettstück, das jedem Jungen zur Ehre gereichte.
Im Schlößchen von Oberensingen bei Nürtingen haust seit langem Julius Kornbeck (geb. 1839), ein Künstler von schlichter Eigenart bei feiner Geistesbildung. Wie Schüz und Kappis schildert er das schwäbische Land gern zusammen mit dem arbeitenden Landvolk, und wie die alten Meister geht er gern allen Einzelheiten nach, ein reiner Porträtist der Landschaft. Eine gewisse Tonstimmung wird immer erreicht, nur kein moderner Kolorismus. Sein Lichtton ist im Lauf der Jahre immer wärmer geworden. Eine beschreibende Kunst von einfältiger Wahrheit, feiner Beobachtung und gewinnender Herzlichkeit. Die Heuet und die Ernte im Neckartal, den frischgrünen Frühling und den Sommer im Albvorland, bei heiterem Himmel oder hellen Wolken, den Dorfbach im grünen Dämmerlicht seines Laubdachs, den Blick auf Nürtingen, den Hohenneuffen von fern und nah, Achalm und Teck, den Wasserfall von Urach, Wasser, Bäume, besonders Weiden, Korn und Gras und Heu, dazu allerlei Hausgeflügel, Schafe, Kühe und Stiere, das malt er alles nach der Natur fertig bis zum letzten Blatt, mit der Freude und dem Sachverständnis des Landmannes. Ein Atelier braucht er nicht. Wer ihm draußen zusieht, darf ihm malen helfen. Sein Bildungsgang führte ihn aus Funks Schule nach München und Düsseldorf und auch an die großen modernen Kunststätten des Auslandes. A. Achenbach, H. Baisch, A. Braith und E. Reiniger waren seine Kameraden. Aber seine Kunst ist ganz eigenes Gewächs; ist selbst ein Stück Natur und kann so nie veralten noch verleiden.
Zögling der hiesigen Akademie (dann von Wenglein) war auch Hermann Eichfeld (geb. 1845 Karlsruhe, früher Offizier), sowie Hermann Nestel, geb. in Stuttgart 1858, Schüler von Ludwig. Er hat später an der Riviera gelebt und ist dort jung gestorben.
Die Stuttgarter Landschaftsmalerei der letzten 25 Jahre bildet einen Höhepunkt der deutschen Kunst. Es ist die Epoche des Impressionismus. Impressionismus ist die moderne Form des Naturalismus in der Malerei. Auch innerhalb des Impressionismus kann das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität verschieden sein und sich verschieben. Eine gesunde Entwicklung führt von der Objektivität zur Subjektivität hinüber, im allgemeinen und beim einzelnen Künstler. Objektivität für das Studium; subjektive, schöpferische Freiheit für die Meisterjahre. Das zeigt sich besonders deutlich in der folgerichtigen Entwicklung von Reiniger und Pleuer. Diese beiden waren in Württemberg die Führer und Vorkämpfer, neben ihnen Robert Haug und Friedrich Keller, bis Graf v. Kalckreuth dazukam. Pleuers Bilder wurden in München anfangs wegen des Gegenstandes zurückgewiesen oder wieder abgehängt. Reiniger wurde verspottet als ,,Ackerschollenmaler“. Aber Künstler wie Böcklin und Uhde zollten ihnen Beifall.
Die hiesige Kritik, voran Alfred Freihofer, machte sich früh zum Dolmetscher der neuen Kunst und zum Herold der genialen jungen Meister; und die württembergischen Kunstfreunde waren bald stolz auf ihre Landsleute — kauften aber wenig Bilder. Heute sehen wir mit wehmütiger Freude auf die Denkmäler dieser gesegneten Zeit. Die beiden Führer sind dahin, vor der Zeit aufgerieben in Mühen, Kämpfen und Entbehrungen. Der Naturalismus selber scheint schon wieder überwunden. Die Jugend wendet sich anderen Idealen zu, die ihr höher und frischer dünken. Und die getreuen Nachfolger leiden naturgemäß unter dem Schicksal, Nachfolger zu sein. Aber dem Schwabenlande bleibt der anerkannte Ruhm, den größten unter den deutschen Landschaftsmalern dieser Epoche hervorgebracht zu haben, den, dessen Werk in allen Stücken Größe hat. Diese Künstler, denen die Natur zur Dichterseele Maleraugen gab, gingen aus, die Wahrheit suchen, und fanden Schönheit, wollten nur Natur und gaben dennoch Poesie. Sie wollten nur durch ihre Kunst wirken und verschmähten alles Konventionelle, Romantische, Pittoreske, Sentimentale, Literarische, Dilettantische; alles sollte selbstempfunden, neu und eigen sein. Das Einfache reizte sie, weil es das Schwierige war. Sie waren Revolutionäre in der Stoffwahl und der Technik. Die intime Landschaftsmalerei suchte in der Heimat die bescheidensten Motive, die neue Sittenmalerei hielt sich an das Alltägliche und gab es rein malerisch, sachlich, darstellend, ohne zu erzählen. Der malerische Vortrag wurde Selbstzweck, ihm sollte das Bild allen Reiz verdanken. Dabei war freilich die Zeichnung immer korrekt und wohlberechnet. Die Farbe sollte so genau als möglich dem Natureindruck entsprechen, und zwar dem Eindruck eines Augenblicks. Jeder Farbton sollte den Wert bekommen, den er im Gesamteindruck dieses Augenblicks hatte. Man wollte die Dinge malen, wie man sie erblickte, nicht wie man wußte, daß sie seien oder bei genauerem Hinsehen sie fand. Dem strengen Naturalisten ist es auch verboten, aus dem Gedächtnis zu malen. Damit fallen eigentlich farbige Nachtstücke und Mondscheinbilder weg. Man möchte sich wundern, daß sie überhaupt noch Bilder malten, nicht nur Studien in der Natur. Sie waren eben doch, wiewohl sie sich anfangs fast wie Photographen oder Naturforscher fühlten, Künstler, denen es auf die Wirkung ankam, und diese mußte studiert und probiert werden. Dabei erkannten sie, daß auch im Ausstellungsbild nur eine rasche Malerei die gewünschte Wirkung tue. Flüchtige Erscheinungen wirken glaubhafter, Farbenstimmungen eindrucksvoller in flüchtiger Wiedergabe. Mit möglichst wenig Strichen ein Bild zu malen, war der Vorsatz Reinigers. So kam man auf die breite, skizzenhafte Technik, wie sie schon Frans Hals geübt hatte, eine Technik, die niemals im fertigen Bild ihre Spur verwischen will, sondern im Gegenteil sich mit zur Schau stellt. Je vollkommener die Illusionswirkung, desto deutlicher müssen auch wieder die „illusionstörenden Momente“ hervortreten, das verlangt das Wesen der Kunst, wie es der Ästhetiker dieser Kunstepoche, Konrad Lange, dargelegt hat. Eine rohe Technik im Vergleich zu der der alten Meister, ohne Schulüberlieferung, fast ganz verzichtend auf Untermalungen und Lasuren, primitiv — sie nennt sich ja auch Malerei alla prima — und doch höchst raffiniert. Die Eigenschaften der Ölemulsion wurden bald geistreich ausgenützt, bald möglichst verleugnet, je nach dem Gegenstand. Auch die plastische Licht- und Schattenwirkung der dick aufgesetzten Farbmasse wird benützt. Man muß staunen, wie das alles gelungen ist. Hier scheint der Farbkörper feucht, dort trocken, hier spiegelt er, dort ist er rauh, hier flimmert er, dort scheint er alles Licht zu verschlucken. Ein trockener, breiter Borstenpinselstrich schafft hier feines, durchsichtiges Geäst, dort ein lockeres Wölkchen, dort wieder zerstäubenden Schaum. So vermögen die Maler die feinsten Unterschiede in der stofflichen Beschaffenheit der Dinge und die flüchtigsten Erscheinungen des Lichtes und der Luft wiederzugeben, solche, die man vorher überhaupt nicht wahrgenommen hat. Die Maler waren vielfach schärfere Beobachter der Farbe als die Naturwissenschaft mit ihren Instrumenten und Experimenten. Die Landschaftsmaler lernten die Erde malen, wie sie feucht erscheint, das Wasser in jeder Bewegung, die körnige oder flockige Beschaffenheit des Schnees, den Schleier der Blattknospen am Buchenwald, den Glanz des Taues auf der Wiese, die reine oder trübe, dünne oder dicke, trockene oder feuchte, stille oder zitternde oder wehende Luft, den Regenschleier, den die Sonne durchdringt, das Funkeln des Lichtes auf den Körpern in dem Augenblick, ehe der Nebelschleier zerreißt, die zarte Beleuchtung des sich aufhellenden Abends nach einem Regentag, wie sie einen Waldrand färbt, den blässesten Lichtstrahl, den letzten Tagesschimmer und das Zwielicht von Abenddämmerung und Mondaufgang, von Mondschein und Lampenschein; jeden leisen Widerschein von Helligkeit und Farbe im Schatten und im Dunkel. Der Maler sieht überhaupt nichts mehr farblos. Er läßt in der Natur kein Schwarz und Grau und Braun mehr gelten. Er ist ungeheuer anspruchsvoll gegen sich und seinesgleichen, verlangt unendlichen Reichtum von Nuancen und dennoch unter allen Umständen einen einheitlichen Ton des Bildes. Tonstimmung in Braun gilt als minderwertig, weil gar zu billig. Die Maler genießen und verstehen zu würdigen, was die Natur als Koloristin leistet auf den feuchten Ackerschollen, im Herbstwald, auf den Wolken und dem Wasser. Pleuer empfand solche Sensationen sogar auf dem rauchigen und rußigen Bahnhof im Tau- und Regenwetter. Auch die öde Fabrikstadt kann ein Gegenstand der Landschaftsmalerei werden. Die Sonne macht die Farben und die Luft die Stimmung, und das Wasser spiegelt beides wider.
Diese Naturalisten verfahren nie verstandesmäßig, sondern immer künstlerisch, das liegt im Impressionismus. Es kommt ihnen immer nur auf die Gesamtwirkung an, l’expression par l’ensemble. Sie dachten zum Beispiel gar nicht daran, was heute wieder ein Künstler unter Berufung auf die alten Meister fordert, daß es ein Gebot der technischen Logik sei, zuerst die helle Luft dünn zu malen und dann das davorstehende durchbrochene Laub dick; sondern sie setzten die Lichter in dicken Patzen auf, und sie wirken richtig.
Die Bilder sind auf Farbenwirkungen berechnet, aber es sind eben doch Abbildungen von Formen der Natur. Darum sind sie zeichnerisch aufgebaut und vorbereitet. Pleuer zeichnet vorher Studien von Lokomotiven, die die Bewunderung der Leute vom Maschinenbaufach erregen. Und auf seinen Bahnhofbildern soll jede Weiche richtig gestellt sein. Diese Malerpoeten gestatten sich, zumal anfänglich, nicht die kleinste Abweichung von der Natur, nicht die geringste Willkür. Höchstens vereinfacht wird das Bild auf dem Weg von der Studie zum Gemälde. Die Malerei muß eben immer in der Richtigkeit, wenn auch gewiß nicht in der Ausführlichkeit, vor der Photographie bestehen können. Gelände, Erdreich und Gestein und Pflanzenkleid, Klima, Witterung und Tageszeit müssen richtig charakterisiert sein; nicht ein willkürliches Farbenspiel soll ja gegeben werden, sondern eine Naturstimmung. Aber auch Malen wie Zeichnen ist Weglassen. Was hier weggelassen wird, sind die Einzelheiten der Form. Ausführliche Zeichnung würde die Wirkung der Farbe beeinträchtigen. Ein mannigfaltiger Gegenstand schwächt den Eindruck der Luft- und Lichtstimmung. Auch der Naturalist komponiert, und wäre es nur in der Wahl des Motives, gleichwie der Liebhaberphotograph einen Ausschnitt wählt, worin die Natur schon komponiert hat. Jedes malerische Motiv soll eine abgerundete, geschlossene Welt sein, groß im kleinen, einfach, klar in den räumlichen Verhältnissen und bezeichnend in den Linien. Reiniger malt ein blühendes Bäumlein auf nackter Erde, und es wird der Inbegriff des Frühlings; ein Stückchen vom Feuerbach oder eine Waldpfütze, und wir empfinden das ganze Wesen des nassen Elements. Pleuer malt ein Schafhaus oder eine ganz unmalerische Dorfgasse im Mondschein, und wir spüren die Bewegung des Mondlichtes, wie es flimmert, rieselt, füllt.
Auch die raffinierteste Kunst ist müßiges Spiel oder trockenes Handwerk, wenn sie nicht irgendeinen höheren Inhalt hat, was die idealistische Ästhetik die Idee des Kunstwerks nannte. Fragt man den Naturalisten nach dem Inhalt seines Kunstwerks, so wird er grob. Er wolle nichts erzählen oder lehren, sondern malen. Was, sei gleichgültig, nur wie gemalt werde, darauf komme es an. Was unsere großen Naturalisten aber wirklich gaben, war ein Natureindruck nicht nur auf einer Netzhaut, sondern in einer Dichterseele. Der Gegenstand war ihnen in Wahrheit keineswegs gleichgültig; sie liebten ihn. Den Inhalt nahmen sie aus ihrem eigenen Innern, ohne es zu wollen und zu wissen; sie hatten ihn auch von der Natur empfangen. Der höhere Inhalt ihrer Naturbilder war eben ihre Liebe zum Gegenstand, ihre Naturverehrung, ihre Künstlerfreude, ihre Seele.
Nenn’s Glück, Herz, Liebe, Gott!
Ich habe keinen Namen dafür,
Gefühl ist alles.
Heute wird das alles, was die ersten Impressionisten fanden, oft und gut gemalt; aber doch — so will es uns, vielleicht nur durch die Brille eines historischen Vorurteils scheinen — nicht mehr so ergreifend, nicht mehr mit der Ursprünglichkeit und organischen Kraft, wie es jene Großen hingestellt haben.
Die echten Landschaftsmaler verzichten meist auf jede Staffage, obwohl, wie die Sage geht, Bilder mit Staffage besser verkäuflich sind. Sie kommen damit nur dem neuzeitlichen Naturgefühl entgegen, das die Natur rein, einsam und unberührt wünscht. Im Naturgefühl das Selbstgefühl aufgehen zu lassen, ist uns Wonne; die Natur erscheint uns heiliger als der Mensch. Die heutige Landschaftsmalerei empfindet die erzählende Staffage als Störung — etwas Vorübergehendes, das die feierliche Ruhe, Stille und Stimmung unterbricht —; sie bedarf auch der ruhenden, auf die Stimmung hinweisenden Figuren nicht mehr, um die Stimmung auszudrücken und das Seelische anklingen zu lassen. Ist es noch Naturalismus oder ist es nicht vielmehr Poesie, Urweltromantik, wenn der Maler im Bilde des Eisacktales Straße, Bahn und Siedlungen, jede Spur des Menschen wegläßt? Ist es Wahrheit, wenn er auf dem Elbstrom bei Hamburg nur ein paar leere Boote schwimmen läßt? Es gibt eben doch Motive, die nach Art und Umfang eine Staffage verlangen, auch für das heutige Empfinden, und wäre es nur eine weidende Kuh, eine Schafherde, die sich kaum vom Gelände abhebt, oder ein fern blinkendes Segel auf der Wasserfläche des großen Sees, ein Wagen auf der Landstraße. Wenn ein Figurenmaler von Beruf auch einmal eine Landschaft malt, wird er sich die Staffage nicht leicht nehmen lassen; nur wird er, wenn es ihm um die Landschaft zu tun ist, auf jede Erzählung verzichten und sich mit einer Stimmungsfigur begnügen.
Merkwürdig aber ist die neue Gattung des Figurenbildes mit landschaftlichem Hintergrund. Es ist fast immer nur eine Gestalt, und zwar eine Stimmungsfigur. Sie ruht und schaut auf die Landschaft oder ist in sich versunken oder sie nimmt Abschied oder grüßt ankommend den Ort. Und die Landschaft ist nicht etwa, wie in älteren Bildern wohl, nur kulissenartig angedeutet, sondern eine richtige Landschaft von selbständigem Wert; meist mit hohem Horizont. So ist die Landschaftsmalerei zurückgekehrt zu der Stelle, wovon sie zu Ende des Mittelalters ausgegangen ist. Aber jetzt ist sie nicht mehr geduldet, sondern sie ist Herrin im Figurenbild. Auch die Figur ist sozusagen landschaftlich behandelt; als farbige Erscheinung im Freilicht. Aus der Aufgabe der figürlichen Freilichtmalerei ist die ganze neue Hintergrundlandschafterei erwachsen. Das Verhältnis der Figur zur freien landschaftlichen Umgebung, darauf ist es abgesehen.
Wenn es eine schwäbische Schule der Landschaftsmalerei gibt, beruht sie nicht auf Künstlerkolonien, sondern hauptsächlich auf dem Eindruck Otto Reinigers. Von ihm, der sein eigener Lehrer gewesen war, haben alle schwäbischen Landschaftsmaler gelernt, obwohl er nie ein Lehramt hatte. Er hat die neuen Aufgaben gestellt und kraftvoll gelöst; und die neuen Themata angeschlagen, die noch heute variiert werden.
Otto Reiniger, geboren in Stuttgart 27. Febr. 1863, war ein Vetter des Landschaftsmalers Ernst Reiniger, den er zwar kaum mehr kannte, aber in seinen Lebensplänen — bis auf die Reiseziele hinaus — nachahmte. Nach dem Gymnasium bezog er die Kunstschule (1881), ging aber bald (1883) nach München zu Wenglein, wo er auch nur wenige Monate aushielt. Vier Jahre hielt er sich dann, auf eigene Faust Landschaftsstudien malend, in Italien auf. Seit 1888 lebte er in seiner Vaterstadt, später mit dem Titel des Professors. Einmal war er mit Pleuer in Venedig, einmal auch in Paris, wiederholt in Italien und mehrmals in den Alpen, namentlich am Wallensee; auch in der Pfalz und, infolge eines Auftrags, in Hamburg. Nach einem verhängnisvollen Brand in seinem Atelier (1904) bezog er ein Landhaus am Tachensee, unfern von Stuttgart. Schon machte sich das Nierenleiden geltend, das ihn früh wegraffen sollte. Am 24. Juli 1909 verschied er.
Reiniger war zur Landschaftsmalerei im Sinne des Impressionismus geboren, selbst seine Kurzsichtigkeit kam ihm dafür zustatten. Die freie Phantasie unterdrückte er, wenigstens in den Studienjahren, so stark seine Begabung für die Komposition und sein Gedächtnis für Landschaften war. Merkwürdig, wie in seinen dilettantischen Jugendarbeiten schon seine künftige Richtung angedeutet ist. Als Mensch war er still, zartfühlend und aufopfernd, herb in seinem Urteil; ein Grübler, der viel über Kunst nachdachte und die alten Meister sehr wohl kannte. Ein Drang nach künstlerischer Vollendung, der sich selbst niemals genugtun konnte, zwang ihn, oft lange Zeit mit einem Bilde sich zu quälen und schließlich, wenn der Ausstellungstermin drängte, in wenigen Stunden ein älteres Motiv zu wiederholen. Seine Entwicklung ging ganz folgerichtig vom Zeichnen zum Malen, vom analytischen Studium der Natur zum synthetischen Schaffen, vom Kleinen zum Großen, von der Nähe in die Weite, von dem Ernst des Suchenden zur Freude an der Welt und an der eigenen Kunst.
In Italien lernte er zeichnen und malen, die Dinge nach ihren stofflichen Eigenschaften charakterisieren. Bilder auszuführen fühlte er sich noch nicht reif. Im Figürlichen hat er sich dort ebenfalls auf eigene Faust geübt. Nach der Rückkehr (1888) setzte er noch lange die gründlichen Detailstudien fort, am Feuerbach und auf der Feuerbacher Heide; Studien im Sinne der „intimen“ Landschaftsmalerei der Franzosen. Dort fand er seinen ersten Stil, den des Nahbildes in mattem Licht. Nur einen Versuch, wiewohl einen gelungenen, bedeutet das in jener Zeit gemalte kleine, feine Bildnis seiner Mutter am Fenster mit Ausblick ins Freie. Auch das zeichnerisch durchgebildete Bild des „Frühlings“ mit der grünen Wiese am Bächlein ist für jene Zeit (1890) schon eine Ausnahme. Und ebenso der Buchenwald im Vorfrühling. Der konventionell-romantischen Waldpoesie der Neurenaissance, der grünen Dämmerung mit den gelben Sonnenflecken, ist der Künstler lieber aus dem Weg gegangen. Später (1892) hat er einmal einen Herbstwald gemalt, auch im Feuerbachtal, als hochstämmigen Wirtschaftswald, dem fast nur der Ausblick in die Ferne poetischen Reiz verleiht. In seinen Reiseskizzen ist freilich alles, was nur malerisch heißt, vertreten.
Schon 1889 bekam er für eine Vorfrühlingsstimmung aus dem Feuerbachtal die goldene Medaille in München. Das Bild, fast sein einziges mit figürlicher Staffage, ist verbrannt. Und 1890 hatte er auf der Münchener Ausstellung einen „Abend“, der bei den Künstlern ungeheuren Eindruck machte, Ackerschollen im letzten Strahl der Abendsonne. Man ärgerte sich über den Gegenstand und bewunderte die vertraute Kenntnis und Beherrschung der Natur.
Die bezeichnenden Werke sind die Winter- und Vorfrühlingsbilder vom Feuerbach, die den großen Stil nach 1893 bringen und vielleicht der Nachwelt als seine größten Leistungen gelten werden. Der strenge, exakte Naturalismus ist überwunden, vielleicht ohne daß der Künstler selber es gemerkt und zugestanden hat. Was ihn jetzt bewegt, sind Probleme der formalen, vornehmlich der farbigen Harmonie. Die Form, die Zeichnung wird vereinfacht bis zum äußersten, bei unbedingter Richtigkeit. Es gilt der Klarheit der räumlichen Anschauung, die dem Künstler angeboren war. Der Aufbau der Bilder zeigt von nun an eine formale Gesetzmäßigkeit, die zwar keineswegs auf äußerlichen Regeln, wohl aber auf sicherem künstlerischem Gefühl beruht.
„Die hinreißende Rhythmik seiner Formen findet in der neueren Kunst nur bei Corot ihresgleichen, dem Reiniger freilich sowohl in der Herbheit des Naturgefühls wie im Kolorit überlegen ist.“
Als Kolorist feiert er — „ein Frans Hals der Landschaft“ — Triumphe in den stumpfen Farben, denen danebengesetzte Kontrasttöne wunderbare Leuchtkraft geben. So in dem großen „Feuerbach“ von 1893 der Stuttgarter Galerie. „Wie hier das Hellbraun der Flut durch ein benachbartes Dunkeloliv zum leuchtenden Goldton gesteigert wird, das gehört zu den größten koloristischen Leistungen aller Zeiten.“ Die Natur schafft mit dekorativer Absicht solche feinen Farbenspiele in der Tierwelt. Beim Gefieder des Rebhuhns spielt sie so mit den Erdfarben. Aber auch in der Landschaft zeigt sie solche Pracht und Feinheit. Nur bedürfen wir der Künstler, um sie zu finden. Wie Perlmutter schillert das Schneewasser, und in Opaltönen leuchtet die Schneewächte. Und nur in mattem und durch trübe Luft gefärbtem Lichte leuchten solche zarten Farben. So malt Reiniger am trüben Wintertag, wenn das Licht verglimmt, nur noch auf Wolken und dem Wasserspiegel widerleuchtend, malt trübes Schneewasser und schmutzigen Schnee, nackten Boden, kahle Weiden — wenn er nicht auch auf den zeichnerischen Reiz des Ufergebüschs ganz verzichtet. So kann nur Reiniger das fließende Wasser malen und das verstohlene Licht, die leuchtenden Wolken und die feuchte Luft, die nasse Erde und den lockeren Schnee. Mächtig weitet und bewegt sich das Gelände. Ein wunderbares Pathos steigert das armselige, für Alltagsbegriffe kaum idyllische Motiv. Es ist ein Wunder wie in Beethovens Musik. So malt er den Feuerbach wohl hundertmal in Studien und auch in Bildern noch mehrmals; unter roten Wolken (1894), Frühling (1895) und im Sommer, oder nach einem Gewitter (1895). Ähnliche Motive wie der Feuerbach bot dem Künstler dann die Heimat seiner Mutter, das Kochertal bei Hall (ober Tullau) und das Bühlertal, wo er in der Mühle zu Oberscheffach sein Quartier aufgeschlagen hatte; später auch die Albtäler bei Hayingen. Leider sind von diesen Bildern mehrere im Atelierbrand zugrunde gegangen, andere in die Welt verstreut. Ein Hauptbild ist der „Kocher“ der Berliner Nationalgalerie (1893). Fast alle sind durch feuchte Luft trüb oder silberig gestimmt.
Was Reiniger am Feuerbach gelernt, vor allem die Kunst, fließendes Wasser zu malen und die Farben der Dinge mit Hilfe der Luft auf einen Ton zu stimmen, ist auf ein großes Motiv übertragen in dem Bilde „Eisacktal“ von 1899 der Staatsgalerie, das übrigens nicht mit der ganzen im Motiv gegebenen Größe wirkt. Hier fehlt der Maßstab, den der Maler auf dem Bild der Elbe klüglich in Gestalt von einigen leeren Booten beigesetzt hat.
Der Künstler richtet seinen Blick nun in die Weite. Er malt das Dorf Feuerbach, gesehen vom Feuerbachtal (1894); den „Blick aufs Neckartal“ von der Feuerbacher Heide (1894); einen „Roten Abend“ nach dem Gewitter, mit Regenbogen.
Aber noch eines von den Motiven oder Thematen, womit er den Schatz der Kunst genial bereichert hat, ist dem Bereich des Nahbildes entnommen: das des blühenden Baumes. Reiniger malt nicht die Obstbaumblüte in der hellen Sonne, nicht das Blütenmeer, dem das frische, frohe Maiengrün zur Folie dient, sondern ein einzelnes bescheidenes Bäumchen in nackter Ackererde und im letzten Abendlicht. Die Blüte sieht fast aus wie Reif, aber wunderbar leuchtet sie wie von verglimmender Glut durch die Dämmerung, selbst die Ackerschollen scheinen verstohlen davon aufzuleuchten. Das Bild hat etwas Rührendes, fast Heiliges.
Die blühenden Bäume (Hauptbild von 1900 der Staatsgalerie) leiten über zu den sonnigen weiten Sommerbildern. Da ist eine „Sommerlandschaft“ am hellen, aber dunstigen Nachmittag, die Reiniger nach einem Motiv von der fränkischen Ebene über dem Bühlertal bei Hall mehrmals zum Bild gestaltet hat; herrlich, wenn auch nicht so originell, sondern an Corot und Rousseau gemahnend. Freude geht von dieser Landschaft aus, die trotz der Weite einfach gehalten ist und abgetönt wie ein alter Gobelin. Ein Ausblick über eine Hochebene, deren schroffe Talfurchen wie in der Wirklichkeit fast verschwinden. Die Örtlichkeit mit dem Städtchen Veilberg hinten kaum zu erkennen, absichtlich verwischt. Darüber ein mattblauer Himmel mit weißleuchtenden geballten Wolken; vorn wogendes Gras im Silberschimmer und ein paar stolze Baumgestalten, deren Art unbestimmt gelassen ist. Die von Licht erfüllte Luft im Verein mit dem spiegelnden Wasser wird mehr und mehr der Gegenstand seiner Bilder. Das lokale Motiv ist nur noch ein Anlaß. Die Donau bei Marchtal, durch ein Wehr geschwellt und gestellt, links eine Kulisse von Parkbäumen, gegenüber ein Dörfchen und darüber ein Wolkenhimmel, aus dem für einen Augenblick nach einem Regentag die Abendsonne bricht, leuchtend in roter Glut. Der Flußspiegel strahlt davon wie flüssiges Erz. Aber das Wehr vorn liegt in kühlem Schatten. Erde, Gras und Laub scheinen noch von Feuchtigkeit zu glänzen. Das Hauptbild gehört der Münchener Pinakothek.
Dasselbe Thema: Fluß mit Bäumen unter hohem Himmel, schlagen zwei Bilder vom Neckar an, Motiv bei Geisingen (OA. Ludwigsburg). Ein gewundenes breites Wasserband zwischen bescheidenen Uferhöhen, ein paar Riesenpappeln, breit und luftig gemalt, fast schattenhaft; sonst nichts. Aber dies Wenige eingetaucht in ein Meer von Duft und Licht, das eine Mal in goldigem, das andere Mal in silberigem Ton. Das ganze Bild ist voll von jenem Leben, das die Maler meinten, als sie den Ausdruck „Stilleben“ für Bilder toter Dinge prägten.
Aber streng naturalistische, bloß intime Landschaftsmalerei ist es doch nicht mehr. Der Meister hat sein früher ausgesprochenes Ziel erreicht, frei mit der Natur schalten zu können wie Rubens als Landschafter und Claude Lorrain. Die Bilder sind energisch komponiert — man sehe die Wolken auf dem Donaubild — und eine unverkennbar dekorative Absicht mischt sich ein.
Noch einmal, schon mit gebrochener Kraft, hat Reiniger das Thema des Flusses aufgenommen, größer als je zuvor im Gegenstand, nicht in der Auffassung. Das ist die für die Hamburger Kunsthalle gemalte „Elbe“, die der Meister nicht mehr zur Vollendung und Abnahme gebracht hat. Es ist ein schwermütiges Bild, wie es die Nordseeküste wohl an trüben Tagen in der Seele eines Schwabenkindes zurücklassen mag.
Nichts von dem bewegten Leben des Verkehrs auf Deutschlands Wasserstraße, nichts von Hamburg und von den Lusthäusern am grünen Ufer. Der Auftraggeber widerriet dem Binnenlandmaler, Schiffe für die Hamburger darzustellen. So malte der nur einen stillen Uferwinkel.
Der Landsitz Tachensee bot dem Künstler, der sich sein Leiden wohl bei den früheren Naturstudien geholt hatte, die Möglichkeit, ohne allzugroße Beschwerden nach der Natur zu malen, was er brauchte, Wasser, einen kleinen Waldweiher, Wald- und Obstbäume, den Ausblick auf schwäbische Kulturlandschaft mit Waldhügeln und schimmernden Siedlungen. Das führte ihn zur intimen Landschaft zurück, zu Studien im Waldesinnern und solchen im Schnee bei Frost und Tauwetter und auch zum Nachtstück, was er früher als strenger Naturalist vermieden hatte Auch der Erholungsaufenthalt am Gardasee, wo der kranke Künstler die Studien nicht lassen konnte, hat zwei Bilder gezeitigt.
Im Nachlaß sind außer den Ölskizzen auch namentlich Feder- und andere Zeichnungen von bewunderungswürdiger Meisterschaft, ältere von rein zeichnerischer Art und spätere von ausgesprochen malerischer Absicht, und überraschende Naturstudien in Tempera, die den Impressionisten dem Problem der Farbenzerteilung nahegekommen zeigen. Besonders die Studien an einem Gebirgsbach sprühen bei der Wiedergabe des Gischts in der Mittagssonne von Farbenfunken. Es ist wohl anzunehmen, daß der Meister bei gesunder Kraft noch weiter fortgeschritten wäre, daß er die Gegensätze noch stärker angespannt, die Stimmungen noch vertieft und das Problem des Lichts noch kühner angefaßt, vielleicht aber auch den Naturalismus ganz verlassen hätte. Einige von seinen schönsten Bildern und viele Studien und Skizzen hat der unheilvolle Brand zerstört. Sehr vieles hat er auch selbst vernichtet, weil es ihm nicht genügte. Aber seine besten Bilder hat ein günstiges Geschick der Stuttgarter Galerie zurückgeführt.
Reinigers Größe beruht nicht nur in seiner malerischen Begabung, sondern auch in der Schärfe seines Geistes, der Kraft seines Willens und der Reinheit seiner Gesinnung. Er mußte selber seinen Weg suchen, sich die Aufgaben stellen, die ihn förderten, und sein Ideal unter bitteren Erfahrungen festhalten. Die zähe, bohrende Energie seiner Naturstudien in der Zeit, da er ein Werdender und einsam Suchender war, erinnert unmittelbar an Dürers Wort von dem „Herausreißen“ der Schönheit aus der Natur. Geniale Einseitigkeit war ihm in der Jugend eigen; sie verlor sich immer mehr in seinen reifen Jahren.
Hermann Drück (geb. 1856) war Schüler von Ludwig und Kappis und studierte auch in Dachau. Er lebt jetzt seit 1903 zu Neckartailfingen im Albvorland, nicht weit vom Wohnsitz Kornbecks. Da malt er die Albberge um den Neuffen, das Flußtal mit dem Wehr und den hohen Pappeln, das Dorf, das sich behaglich an den Abhang schmiegt, und seine traulichen Gassen in der Dämmerung des Abends und des Mondscheins. Den feinen Farbenkünstler ziehen vorzüglich die Stimmungen des bedeckten Himmels, des Frühlings und des Herbstes an, während man dieselben Landschaften von Kornbeck meist im hohen Sommer und am hellen Mittag gemalt sieht.
Ein liebenswürdiger Geist von der Art unseres Schüz schildert da die Heimatlandschaft mit modernen, rein malerischen Mitteln und in größerem Zuge. Abendfrieden, Frühlingshoffnung, Maienlust, das sind Themata, die ihm liegen. Die Gefahren dieser süßen Stimmungen hat der Meister glücklich überwunden. Seine Entwicklung wird durch folgende Hauptbilder bezeichnet: Abend, bei Höfingen (1881); Morgenstimmung, bei Cannstatt (1884); Am Kanal, bei Berg (1885); Blick auf den Rosenstein; Vorfrühlingsabend, bei Botnang (1892); Mondaufgang, bei Bartholomä (1898); Gewitterstimmung am Neckar; Mondlandschaft mit Schafherde; Jusiberg; Dorfeingang im Mondschein; Leonberger Heide; Abendstimmung, Neckarhausen; Stuttgarter Straßenbild, am Königsbau (1905); Vorfrühling im Albvorland (1910); Waldrand in Regenstimmung.
Karl Schickhardt (geb. 1866), ein Sprößling der alten württembergischen Künstlerfamilie, Zögling der heimischen Kunstschule, dann noch Wengleins, ist der nächste Nachfolger von Reiniger. Auch er ein eingefleischter Landschafter, der Einsamkeit geneigt und der unausgesprochenen Poesie und abhold aller Staffage. Er ist „der Maler der Schwäbischen Alb“, ihrer weltabgeschiedenen Felstälchen und ihrer weiten Heiden mit den Fernblicken zum Hochgebirge, und des oberen Neckartals bei Rottenburg mit seinen heimlichen Schönheiten, jener Landschaften, die mit dem Charakter der Muschelkalkformation die Vegetation des Schwarzwaldes verbindet. Schickhardt hat auch an der Form seine Freude, er zeichnet fein und treffend das Gelände und entlockt ihm die bedeutende Linie, und gibt prachtvoll Wuchs und Laubfärbung der Bäume, ein unübertroffener Meister in der grünen Farbe. Er ist wohl unter den schwäbischen Meistern heute derjenige, der die reichste und genaueste Naturbeobachtung hat. Er greift auch wieder zu pathetischen und düsteren Motiven, wie Gewitter und Sturm, und ergeht sich ein andermal wieder in den allerzartesten Stimmungen, wie dem lichtgetränkten Nebel, worin die Zweige der Bäume funkeln, oder der Talwiese mit den Uferbäumen im ersten Grün unter blasser Frühlingssonne. Seine Technik ist voll Bravour und verfügt über raffinierte Mittel, weiß besonders auch das Pastell und die Tempera, diese selbst im Ölbild zu verwenden, bald für Untermalungen, bald offen für die Luft, auf der die Wolken stehen, und das Wasser.
Hauptbilder: Mühlen im Laucherttal (1896), Im Laucherttal, Frührot (1898), Herbstmorgen, Märzenabend (1897), Abendwolken (1900), Albdorf (1902), Weiden am Neckar (1907). Neckartal bei Rottenburg (1908), Neckardurchbruch (1909), Föhnstimmung auf der Alb (1910), Vergehender Schnee (1911), Märzschnee, Auf der Alb, Saumpfad (1912).
Felix Hollenberg (geb. 1868, ausgebildet in Düsseldorf und Stuttgart), ein ausgezeichneter Radierer, ist auch als Maler, und zwar als Stimmungsmaler, einer der Führer unserer Landschaftskunst. Vor allem ist er Zeichner, ein Meister aller Formen in der Landschaft, der vor keiner Schwierigkeit zurückschreckt. Er hat seine Freude an der organischen Schönheit der Einzelheiten, wie an dem gesetzmäßigen Bau des Geländes, der Weite des Raumes und den großen Erscheinungen der Atmosphäre. So sind seine Landschaftsschilderungen geeignet, als geographische Charakterbilder zu dienen, ohne daß sie darum an künstlerischen Qualitäten Not litten. Eine gewisse Neigung zum Stilisieren, die besonders bei Bäumen, kahlen und belaubten, und bei Wolkenbildungen auffällt, hat bis jetzt der Wahrheit und Überzeugungskraft seiner Darstellungen keinen Eintrag getan. Seine bekanntesten Motive sind dem Neckartal unterhalb Cannstatt entnommen. Neuere dem Münsinger Lautertal.
Als Maler liebt er ernste Stimmungen und zurückhaltende Farbengebung mit Bevorzugung kalter und sparsamer, aber wirkungssicherer Verwendung warmer Töne, eine strenge und kraftvolle Kunst, die vor allem Wahrheit und Ausdruck sucht.
Solche Gemälde sind: Ein abgeerntetes Feld mit Garben, die im Abendschein glühen, im Hintergrund ein Städtchen, schon in Dunst gehüllt, und eine nebelige Ferne. Ein Kornfeld im Schatten, gestreift von huschenden Sonnenblicken. Ein Herbstwald im Abendlicht erneuert Leistikows Naturanschauung. Es steckt in Hollenberg etwas vom Naturforscher. Gedanken über landschaftliche Schönheit und Kunst hat er auch schon als Schriftsteller ausgesprochen.
Als Landschaftsradierer, der manche Platte ganz im Freien radiert hat, pflegt er für dieselben Motive meist den malerischen Stil, die Tonmanier der Aquatinta (Schmirgeltechnik) in Verbindung mit Strichzeichnung. Für anspruchslosere Blätter und Gelegenheitsarbeiten wählt er gern die anmutigen Ortsbilder, deren das Schwabenland so viele aufzuweisen hat, und den zeichnerischen Stil der Nadel und des Stichels. Auch als Lithograph hat er sich betätigt.
Fritz Hummel in Reutlingen ist von der Dekorationsmalerei zur Kunst aufgestiegen. Als Maler in München ausgebildet bei Nauen, Lesker, Rud. Seitz. In seinen Landschaftsbildern von der Alb macht sich die dekorative Auffassung oft glücklich geltend. Bilder aus Alt-Reutlingen hat er auf Stein gezeichnet.
Ein Vollmensch und reichbegabter Künstler ist Richard Herdtle aus der schwäbisch-fränkischen Künstlerfamilie, einst Pleuers vertrauter Kamerad. Durch Illustrationsarbeiten und Lehrtätigkeit in Anspruch genommen, ist er als Tier- und Landschaftsmaler viel zu wenig hervorgetreten, weiteren Kreisen fast nur durch Steinzeichnungen wie den ,,Vorfrühling“ mit der Schafherde und das „Schimmelviergespann“ bekannt geworden.
Karl Goll, geb. 1870 hier als Sohn eines Künstlers, ist aus der Kunstgewerbeschule zur Malerei gekommen, worin Treidler, Igler und Schraudolph seine Lehrer waren, malt Landschaften und Architekturen, Sittenbilder, Bildnisse, Tierbilder und Blumenstücke und bevorzugt in der Landschaft idyllische Motive in zarter Stimmung und entsprechend kleinem Format, denen er gern einen erzählenden poetischen Einschlag gibt, so daß man an Th. Schüz erinnert wird. Bezeichnend für seine feinsinnige Gattungsmaierei ist ein Pastellbild „Konfirmationstag“, eine Frühlingslandschaft am Neckar mit Spaziergängern.
Adolf Stattmann, Schüler von Robert Haug, hat sich neben der Landschafts- und Seemalerei mit besonderem Erfolg einer eigentümlichen Art von Bildnis gewidmet, die dem humoristischen Sittenbild verwandt ist; beschäftigt sich aber jetzt hauptsächlich mit illustrativen und kleineren graphischen Arbeiten.
Dem neuen dekorativen Zug kommt unter Reinigers Nachfolgern der hochbegabte Erwin Starker am meisten entgegen. Geboren 1872 in Stuttgart, ausgebildet unter Kappis und Schönleber und auf Reisen nach den Niederlanden und zu den großen Stätten der modernen Kunst, lebt er seit 1896 in seiner Vaterstadt. Er liebt das Duftige und Mattabgetönte, arbeitet darum gern in Pastell, worin er unerreichter Meister ist, und wetteifert mit Dill im großen Stile der Stimmungsmalerei. Ihm gelingen aber auch glänzende Lichtwirkungen. Seine Winterlandschaft mit halb aufgelöster Schneedecke unter gelbem Abendhimmel ist bewunderungswürdig nicht nur durch die Kraft des Lichtes und die Wahrheit des Tones, sondern auch durch die Sicherheit der stofflichen Charakteristik für Schnee und Erde und den flimmernden Himmel. Andere Themata sind: Vorfrühling am Bach, Laubgang, Hochwasser (1906), vor der Ausreise, Ausfahrt (1911) —farbensprühendes Hafenbild aus Antwerpen —; Sturm auf dem Bodensee; Dämmerung am See; Meersburg.
Walther Strich-Chapell von Stuttgart (geb. 1872), eines Künstlers Sohn, Lieblingsschüler Schönlebers, hat 1904 seinen Wohnsitz wieder in die Heimat, nach Sersheim, dem schon durch Schönleber bekannt gewordenen Dorf mit dem „gemütlichen“ Kirchturm, verlegt und steht so, geographisch und künstlerisch, in der Mitte zwischen Karlsruhe und Stuttgart. Motive nach Schönlebers Geschmack wurden abgelöst von solchen nach Reinigers Art. In Schönlebers Spuren wandelnd, hat er oftmals Sersheim gemalt und die Weiden und Pappeln am Bach im Frühling und das Jagsttal bei Langenburg (Regenbach); in Reinigers Spuren den Bach im Winter und im Vorfrühling, blühende Bäume, das Enzwehr und Neckarwehr (Mundelsheim). Das Enztal bei Unterriexingen ist jetzt sein eigenstes Studiengebiet. Strich-Chapell malt die blühenden Bäume eingehender als Reiniger und in voller sonniger Pracht. Er malt auch den grünen Maientag. An Blumen macht er seine Farbenexperimente, die auf reine Farbe und tiefen Ton ausgehen. Auch im Gebirge, bei Oberstdorf, hat er seine Studien gemacht, vornehmlich Schneestudien. Dem dauernden Landaufenthalt und ausgedehnten Studien auf der Alb (Würtingen) dankt es der Künstler, daß er eine eigene und intime Naturauffassung gefunden hat, was ihm in Karlsruhe, zumal bei der Beschäftigung mit der farbigen Steinzeichnung, schwerlich so früh gelungen wäre. Die Natur gab ihm ein bewegliches Talent, auch dekorative Anlagen, Temperament und poetischen Sinn. Von seinem Lehrer hat er die sichere, leichte, beinahe glatte Technik. Er bemüht sich, die Schwere der Ölfarbe immer mehr zu überwinden, und beschäftigt sich mit dem Problem der Malerei mit reinen Farben. Eine schwäbische Landschaft in der Karlsruher Galerie (1906), eine Mondnacht in der Stuttgarter Galerie (1910) und eine Alblandschaft im Hoftheater daselbst (1912) sind neben Steinzeichnungen wohl seine bekanntesten Arbeiten. Ältere Gemälde sind: ein „April“ (1903), „Zwielicht im Schnee“, „Mondnacht“, „Schwarzwaldtal“, ein „Waldinneres“, „Dorfinneres“, „Dorf im Abendschein“, eine offene Scheuer mit Durchblick. Scheidendes Licht, Durchbrechendes Licht, eine Wiese mit abgestorbenem Gras oder mit Streu, die in der Frühlingssonne goldig glänzt, der Maitag im Enztal, der Einsame Baum auf der Alb, fast im Galerieton gehalten, eine Brücke mit einem Schimmel sind neuere Arbeiten.
Ernst Wirsum (geb. 1872) ist ein Heimatmaler im besten Sinne des Wortes, schlicht und treu und seelenvoll in seinen kleinen Porträtlandschaften aus der anmutigen Umgebung Stuttgarts, zum Beispiel einen Fernblick von der Geroksruhe in freundlicher Herbststimmung.
Eugen Stammbach, geb. 1876 in Stuttgart und hier ausgebildet, fällt auf durch eine eigenartige, dem Neuimpressionismus verwandte Technik und ein Kolorit, das beim ersten Blick schwärzlich erscheint, besonders in den Schatten, dann aber bald frappiert durch eine fabelhafte Plastik der körperlichen Dinge und eine seltene Kraft des Lichtes. Blühende Bäume und Büsche, Laub und Rinde, Erde und Schnee gibt er mit pastös aufgesetzten Fleckchen reiner Farben, während Luft und Hintergründe dünn und glatt gemalt sind. Dabei ist er immer farbiger geworden. Innenbilder aus dem Walde und Parkpartien liegen seiner Kunst am besten, die jetzt wohl den Weg zum großen Stile und zu einer selbständigen Hellmalerei suchen wird.
Eugen Krauß von Göppingen (geb. 1881), eine kräftige Natur als Mensch und Künstler, hat in München die Bildhauerei und dann in Stuttgart unter Landenberger und Hölzel die Malerei erlernt und Reisen nach Holland, Belgien und Spanien unternommen. Landschaftsbilder: Birken im Vorfrühling (1908), Vorfrühling (1909), Gewitter am Untersee, Rast, Herbstabend, Blühender Baum, Dämmerung, Sonnenkringel im Walde, Waldweg — diese 1910; Buchenwald, Stürmischer Märztag, Vorfrühlingsabend (1911) Frühling, Allee, Buchenwald, (1912). Sonstige: Wilde Rosen, Mutter mit Kind, der Sammler, Zigeuner, Schimmel, Kabylenmarkt und andere Szenen aus Marokko.
Robert Haag, geboren in Stuttgart 1886, ausgebildet in der hiesigen Akademie bei Poetzelberger, Grethe, Haug, hat sich hier und in Unteraichen niedergelassen. Eine Studienreise nach Holland und Belgien scheint ihm an der See und in den Galerien besonders fruchtbare Eindrücke hinterlassen zu haben. Andere Studienreisen führten ihn in die Vogesen und das Allgäu. Bilder: Windmühle, Stürmischer Tag, Sommernachmittag (1908); Pappelstraße (1910); Kornfelder, Durchbrechende Sonne, Wintersonne, Wiesental (1911); Wintertag, Weiden im Schnee, Waldrand, Morgensonne, Vogesenlandschaft, Ausblick auf den Rhein, Wettertanne, Vorfrühling, Pappelstraße im Winter, Föhrenwald (1912); Körschtal. Haag hat das Zeug zum Landschaftsmaler großen Stils. Er versteht es, einfache Motive anziehend zu gestalten und feine Stimmungen zu erfassen. Auch als Graphiker betätigte er sich, neuerdings besonders in farbigen Radierungen.
August Aldinger ist aus dem Kirchendienste noch zur Malerei in Landenbergers und Haugs Schule übergegangen. Als Landschaftsmaler ist er noch ein Suchender, der sich ganz von der Natur leiten läßt. Auf dem Burgholzhof bei Cannstatt, der ihm Heimat und Wohnsitz ist, malt er das Ackerfeld mit hohem Himmel und mit dem Pfluggespann in großer Silhouette, das Kornfeld und die Ernte, diese einmal auch in monumentalem Stil, mit ausgesprochener epischer Begabung.
Aus der Malschule von Landenberger und der Komponierschule von Hölzel ist Martin Nicolaus hervorgegangen, ein Schlesier von Geburt (1887), der sich ganz der schwäbischen Stimmungslandschaft widmet. Seine Bilder, Aprilwetter, Frühlingsabend und Felsental in der Alb, geben unbefangen den fein ausgewählten Natureindruck wieder, ohne Anlehnung an einen neuen Stil oder absichtliches Suchen nach einem eigenen.
Hans und Heinz Niederbühl sind Brüder, gebürtig von Stuttgart und ausgebildet in der hiesigen Akademie, beide zuletzt bei Haug. Während der ältere sich fast ganz der Illustration zugewendet hat, ist der jüngere noch als Maler und Radierer, vorzüglich auf dem Gebiet der Landschaft und des Tierstücks, in vielversprechender Entwicklung begriffen.
Fritz Hafner, jetzt in Wickersdorf bei Naumburg wohnhaft, betont in der Landschaftsmalerei vorzüglich das Zeichnerische.
Als junger Maler (und z. T. auch Radierer) sind in diesem Zusammenhang wenigstens zu nennen : Albert Berger, Heinrich Eberhard, Bernhard Klinkerfus, August Köhler, Hermann Reichert.
Von den Malerinnen des Landes haben sich im Fach der Landschaft Charlotte Bücheier (Reichenbach a. Fils), Elise Drück — die Gattin des Malers —, Klara Kolb (Ulm), Maria Osthoff-Hartmuth, Hedwig Rau-Mohn, Julie Textor und Sally Wiest ausgezeichnet. Johanna Koch pflegt besonders die Gattung der Stimmungsfiguren in der Landschaft.
Als Graphiker oder Zeichner mit landschaftlichen (und meist auch figürlichen) Arbeiten sind außer den schon genannten Maler-Radierern mit Auszeichnung zu erwähnen: Karl Fuchs, Eßlingen. August Schirmer (geb. 1860), ein Meister in der farbigen Zeichnung für malerische Architekturmotive, sowie die an anderer Stelle besprochenen Künstler Heinrich Seufferheld in Tübingen, Georg Lebrecht, Wilhelm Laage, endlich Gottfried Graf.
Von Steinkopf bis Reiniger ist die Landschaftsmalerei in Schwaben ruckweise, aber ohne Rückschritt immer weiter gekommen in der Wiedergabe der Natur und insbesondere der farbigen Erscheinung der Dinge. Immer glaubte man sie vollkommen zu beherrschen, und immer wieder gab es junge Unzufriedene, die neue Probleme aufstellten und der Natur von einer neuen Seite näherkamen. Immer stießen sie anfangs auf Widerspruch oder Gleichgültigkeit.
In der Krisis des Naturalismus hat sich die bildende Kunst auf ihre wahren Aufgaben und eigenen Mittel besonnen. Die Malerei braucht sich, dank gerade dem Impressionismus, vor der Photographie und was daran hängt, keineswegs zu fürchten.
Der Farbenphotographie fehlt, von Ausnahmefällen abgesehen, der Ton, die einheitliche Farbenstimmung, sie wirkt wie ein schlechtes Gemälde. Die Photographie gibt zu wenig an feinen Tönen und zu viel an Einzelheiten der Form, viel mehr, als das Auge wahrzunehmen pflegt, wenn es sich nur einem künstlerischen Eindruck hingibt. Die Photographie versteht nicht von den Nebensachen abzusehen. Durch Abstraktion aber erreicht die Kunst ihre reinen, starken Wirkungen, formale und seelische. Der Maler kann nicht so weit von der Form absehen wie der Zeichner von der Farbe. Die ganze Fülle der Erscheinungswelt steht ihm zur Verfügung, das ist sein Reichtum und die zwingende Illusion der Naturwirklichkeit sein Zauber; aber dieser Reichtum gehört ihm doch auch immer nur zur Auswahl; in der Beschränkung muß er sich als Meister zeigen.
Heute nun ist es nicht mehr auf vollkommenere Illusion in der bildenden Kunst abgesehen, sondern auf „illusionstörende Momente“, auf dekorative Wirkungen. Der Naturalismus ist erlahmt, seine letzte Äußerung, der Luminismus, hat die Überzeugungskraft verloren. Der Impressionismus will in Expressionismus umschlagen. Die neue Kunst ist Flächenkunst und will der Raumkunst dienen, aber auch die Farbenwirkung steigern. Sie geht von formalen Motiven aus, von Flächenteilung, Linienschönheit, Gleichgewicht der Massen, Farbenkomposition. Dieser neue Stil der Flächenmalerei mit reinen Farben und farbigen Umrissen zieht auch in die Landschaftsmalerei schon ein. Manche Bilder sehen aus wie Farbenskizzen zu Glasgemälden. Und dabei legt sie auch wieder Nachdruck auf bewußten Inhalt, schämt sich nicht der gegenständlichen Schönheit und des poetischen Gehaltes. Das Phantastische findet wieder Anklang. Von anderen wird die Form, das Zeichnerische, der Reichtum und die organische Schönheit der Einzelheiten aufs neue gewertet, weil die virtuose Malerei auf Farbenstimmung schon zu billig geworden ist. So werden Künstler wie Kornbeck, Thoma und Haider wieder modern, und die altdeutschen Meister werden wieder Vorbild. Das alles bedeutet eine Rückströmung gegenüber dem impressionistischen Naturalismus. Wird sich aus dem Chaos noch ein höherer moderner Stil herausheben, oder ist die bildende Kunst an einem toten Punkte angelangt? Es fehlt heute die frohe Zuversicht, die die Begründung der deutschen Landschaftskunst, die Erneuerung der Ölmalerei, die Entdeckung der intimen Naturschönheit und die Entwicklung der reinen Stimmungsmalerei einst begleitet hat, fehlt das klare Ziel.
Wenigstens der Landschaftsmalerei wird, so möchten wir hoffen, das Errungene unverlierbar bleiben, der verfeinerte Farbensinn und die neuerschlossene Welt von gegenständlicher Schönheit und Poesie, die Empfänglichkeit für die intime Landschaft, für tiefe Auffassung einfacher Motive, für die Stimmung in der Natur und für den Ton im Bilde. Wir wissen jetzt, daß die Farben der Dinge nicht ruhende Eigenschaften, sondern wechselnde Lichterscheinungen sind, aufleuchtend in unseren Augen aus dem Dunkel der räumlichen Welt. Wo wir früher nichts als Dunkel sahen, sehen wir jetzt Farbe, sehen auch die Schatten aufgehellt von farbigem Licht, sehen die Farben gesteigert und umgefärbt durch den Gegensatz der Ergänzungsfarben, sehen sie abgetönt und zusammengestimmt durch die Luft und die Beleuchtung. Wir haben gelernt, die Schönheit der heimischen Natur zu lieben, so reizlos oder bescheiden sie im Sinne der Vedutenmalerei erscheinen mag; und die Größe der Natur im Kleinen, Nahen und Alltäglichen zu verehren.
[Eugen Gradmann: „Die Landschaftsmaler“, in: Julius Baum / Max Diez (Hrsg.): Die Stuttgarter Kunst der Gegenwart, Stuttgart 1913, S. 103-130.]